Endlich Feierabend, schnell die Tasche gepackt, mein Bus fährt in fünf Minuten. Ich muss mich beeilen, will ihn auf keinen Fall verpassen. Unsere Sekretärin ist bereits nicht mehr in ihrem Büro. An den anderen Zimmern laufe ich lautlos vorbei, bloß keine schlafenden Hunde wecken.
Im Treppenhaus dann ein schneller Blick zur Seite, hoch zu seinem Büro. Die Rückenlehne seines Drehstuhls ist mir zugewandt. Mein Chef sitzt hinter seinem Schreibtisch, die Füße wie so oft auf der Tischplatte, die unaufhörliche Rauchsäule seiner Zigarette kräuselt sich über ihm bis an die Zimmerdecke.
Ich murmle ein kurzes Tschüß, in der Hoffnung, dass er in Gedanken vertieft ist und mich nicht hört. Doch keine zwei Treppenstufen später ertönt es schon: „Du mich auch!“
Wie oft ich das gehört habe. Wie sehr ich es hasse, wenn er sich so verabschiedet. Am liebsten würde ich ihn anschreien. „Ja, genau, Du kannst mich mal! Du und Dein ganzer Scheißverein hier.“
Bisher blieb ich jedoch immer stumm, auch wenn es in mir kochte. Mein Ärger begleitete mich dann meist bis zur Busstation, manchmal sogar die ganze Fahrt über bis nach Hause. Doch heute ist etwas anders. Heute nicht, denke ich.
Ich drehe mich um, gehe die paar Treppenstufen zurück, hoch in sein Büro und trete neben seinen Schreibtisch. Ich mache den Mund auf, um ihm etwas entgegenzuschleudern, doch statt eines Menschen mit Armen, Beinen, Rumpf und Kopf sitzt da eine lebensgroße, gelblich verfärbte Zigarette, die mich aus starren schwarzweißen Comic-Augen anschaut.
Verdutzt halte ich inne. Seine abgewetzten braunen Lederschuhe, eben noch auf dem Tisch, stehen wie angewurzelt auf dem Boden, erscheinen übergroß und unpassend, erst recht, da keine Beine zu sehen sind. Statt Armen wachsen kleine, wulstige Hände aus den Seiten, die in weißen Handschuhen stecken. Der Mund ist lediglich ein schmaler Streifen, der versucht etwas zu sagen.
Ich verstehe es nicht, es klingt verzerrt und fremdartig. Ist das eine Bitte um Hilfe? Um aus dem Stuhl heraus zu kommen, was ihm alleine nicht gelingt? Immer wieder wandern seine großen Augen verzweifelt nach oben, dorthin, wo statt eines Haarschopfes verglimmende graue Asche zu sehen ist. Langsam, Stück für Stück verglüht er und zerfällt zu Asche. Unaufhörlich, ohne es aufhalten zu können.
Ich betrachte das Schauspiel in aller Ruhe und schmunzle. Erst verglühen die Augen, dann die Hände und schließlich der Rest. Alles geht in Rauch auf. Einfach so, lediglich von einem leisen, kaum hörbaren Knistern untermalt. Auf dem Boden sind die Umrisse der Schuhe unter einer Schicht grauer Asche noch zu erahnen.
„Du mich auch!“, sage ich, drehe mich um und gehe. In ein paar Minuten fährt der nächste Bus. Ich freue mich schon auf die Fahrt.